Dienstag, 23. Dezember 2025

Potenzfunktionen und kritische Systeme

Ende des 19ten Jahrhunderts hat der italienische Ingenieur und Gelehrte Vilfredo Pareto


die Einkommensverteilung mehrerer europäischer Länder untersucht. Das Bild unten zeigt die Zahl der Menschen in England, die ein Einkommen \( X \) größer als \( x \) haben, in Abhängigkeit vom Einkommen \( x \). Damals wie heute besaßen wenige Leute sehr viel, und die meisten Leute sehr wenig. 
Die Bilder unten sind dem sehr inspirierenden YouTube Video You've (Likely) Been Playing The Game of Life Wrong von Veritasium entnommen.


Erstaunlicherweise ergab sich für alle Länder ein ähnliches Ergebnis. In doppelt logarithmischer Auftragung zeigt sich eine Gerade. Die Verteilung folgt also einer Potenzfunktion. 

\[ \text{N}(X > x) \propto \frac{1}{x^{1.5}} \]


Verteilung dieser Art wurden später als Pareto Verteilung bekannt. Anders als für eine Normalverteilung sind ihr Erwartungswert \( E \), und die Varianz \( \sigma \) der Verteilung unendlich.


Eine ähnliche Verteilung wie die der Einkommensverhältnisse in einem Land lässt sich im sogenannten Sankt‑Petersburg‑Spiel erzielen. Bei einem Einsatz von z.B. einem Dollar wird eine Münze so lange geworfen, bis zum ersten Mal 'Kopf' kommt. Der Gewinn \( x\) hängt also davon ab, wie viele Würfe \( n\) gemacht wurden:

\[x = 1 $ \cdot 2^{n-1}\]


Die Wahrscheinlichkeit \( p_n\) , dass beim \( n\) -ten Wurf  die Münze auf der Kopfseite zu liegen kommt beträgt:

 
\[p_n = \left(\frac12\right)^n\]

Um einschätzen zu können ob sich der Einsatz lohnt, betrachtet man häufig den sogenannten Erwartungswert der Verteilung, also die Summe aus Gewinnhöhe multipliziert mit der Wahrscheinlichkeit, diesen Gewinn zu bekommen. 


Es gilt:

\[E = \sum_{n=1}^{\infty} 2^{n-1} \cdot \left(\frac12\right)^n\]

oder

\[E = \sum_{n=1}^{\infty} \frac12 = \infty\]

Der Erwartungswert ist also unendlich. Man könnte also jeden noch so hohen Einsatz wagen, weil es unendlich viel zu gewinnen gibt. Tatsächlich ist die Wahrscheinlichkeit dafür jedoch sehr gering, und genau das ist als das Sankt-Petersburg-Paradoxon bekannt geworden.

Trägt man nun die Wahrscheinlichkeit für einen Gewinn \(x\) gegen \( x\) auf,

so ergibt sich auch in diesem Fall eine Potenzfunktion. Doppelt logarithmisch aufgetragen hat die sich ergebende Gerade eine Steigung von -1. 


Trägt man in einem Baumdiagramm die Länge eines Astes als Wahrscheinlichkeit für Kopf oder Zahl an, so erkennt man eine weitere Besonderheit. Das System scheint nicht skalierbar zu sein. Ähnlich einem Fraktal erkennen wir wenn wir in das System 'hineinzoomen' immer wieder ähnliche Strukturen.


Diese nicht Skalierbarkeit ist ein typisches Merkmal für Systeme, die sich in einem kritischen Zustand befinden bzw. darauf zubewegen. 1987 hat der dänische Physiker Ber Bak das sogenannte Sandhaufenmodel als Beispiel für ein dynamisches System mit selbstorganisierter Kritikalität entwickelt. In diesem Model werden Sandkörner aufeinander gestapelt. Stapelt man mehr al 4 Sandkörner aufeinander, so fällt der gestapelte Turm um, und die Körner arrangieren sich gleichmäßig in der Ebene.

Auf  der Homepage von Veritasium findet sich das Model zum ausprobieren. Lässt man das Sandkorn immer in der Mitte fallen, verhält sich das System zunächst unauffällig.


Es ergeben sich wie zu erwarten symmetrische Strukturen aus unterschiedlich hohen Stapeln. Mit zunehmender Dauer der Simulation kommt es jedoch immer häufiger zu einem lawinenartigen Umfallen mehrerer 'Türme'.


Die Größe der Lawinen und deren Häufigkeit folgen wieder einem Potenzgesetz. Die Grafik auf der rechten Bildschirmseite zeigt den doppelt logarithmisch aufgetragenen Zusammenhang.


Werden die Sandkörner nicht mehr mittig sondern zufällig platziert, sind auch die Cluster zufällig verteilt. 

Ähnliche Cluster werden z.B. auch durch Waldbrände erzeugt, wenn diese durch zufällig verteilte Blitzeinschläge hervorgerufen werden. Ein Model nach Drossel und Schwabl findet sich ebenfalls bei Vertiasium


Wie die Grafik rechts zeigt, folgen Clustergröße und Wahrscheinlichkeit für das Auftreten einer Clustergröße erneut einem Potenzgesetz. Auch die Stärke von Erdbeben und deren Häufigkeit folgen übrigens den Potenzgesetzen.


Potenzgesetze scheinen also grundsätzlich eine ganze Klasse von kritischen Systemen, bei denen kleinste Änderungen Veränderungen auf großer Skala hervorrufen können, zu beschreiben.

Viel Spaß beim selber Rechnen und Simulieren...

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