Samstag, 27. Dezember 2025

Physik Nobelpreis 2005

Der Physik-Nobelpreis 2025 würdigt drei Forscher, die ein fundamentales Kapitel der modernen Physik aufgeschlagen haben: John Clarke, Michel H. Devoret und John M. Martinis. Ihre Arbeiten beantworteten eine Frage, die lange als fast philosophisch galt: Kann ein makroskopischer Freiheitsgrad – also eine Variable, die viele Milliarden Teilchen umfasst – quantenmechanisches Verhalten zeigen? Die Grundlage dafür wurde Ende der 1970er‑Jahre gelegt, als Antony Leggett vorschlug, die Phasendifferenz in einem Josephson-Kontakt als makroskopische Quantengröße zu untersuchen. Ein Josephson-Kontakt besteht aus zwei supraleitenden Elektroden, getrennt durch eine extrem dünne Isolatorschicht (siehe Bild a) unten). Die Bilder dieses Artikels sind dem sehr schönen Übersichtartikel von Hugues Pothier und Christoph Strunk in der Dezember 2025 Ausgabe des Physik Journals entnommen. Oberhalb der Übergangstemperatur tunneln einzelne Elektronen unabhängig voneinander. Unterhalb dieser Temperatur bilden sie Cooper-Paare, die gemeinsam als makroskopisches Quantenobjekt beschrieben werden können. Die Phase der makroskopischen Wellenfunktion wird dabei zur zentralen Größe.

1. Supraleitung und makroskopische Kohärenz

Die Grundlage der modernen Theorie der Supraleitung ist die BCS‑Theorie, benannt nach Bardeen, Cooper und Schrieffer. Sie beschreibt, wie Elektronen in einem Supraleiter trotz ihrer Coulomb‑Abstoßung Paare bilden können, indem sie über Gitterschwingungen effektiv anziehend wechselwirken. Diese Cooper‑Paare kondensieren in einen gemeinsamen quantenmechanischen Zustand, der durch eine makroskopische Wellenfunktion \(\Psi (r) = |\Psi | e^{i \varphi (r)}\) beschrieben wird. Die Phase \(\varphi (r)\) ist dabei nicht nur ein mathematisches Hilfsmittel, sondern eine physikalisch relevante Größe, die Ströme, Spannungen und magnetische Eigenschaften bestimmt.

Die Existenz einer makroskopischen Phase ist der Schlüssel zur Quantenelektronik. Während in einem normalen Metall die Elektronen unabhängig voneinander agieren, verhalten sich die Cooper‑Paare wie ein einziges, kohärentes Objekt. Das bedeutet, dass die Phase über makroskopische Distanzen hinweg definiert ist - Zentimeter, manchmal sogar Meter. Damit wird die Phase zu einer kollektiven Variablen, die sich prinzipiell wie ein quantenmechanisches Objekt verhalten kann.

Doch wie kann man eine solche Phase messen oder manipulieren? Die Antwort liegt im Josephson‑Kontakt.

2. Der Josephson‑Kontakt: Kopplung zweier makroskopischer Wellenfunktionen

Ein Josephson‑Kontakt besteht aus zwei Supraleitern, die durch eine extrem dünne Isolator Schicht getrennt sind (siehe Bild a) unten). Obwohl die Schicht elektrisch isolierend ist, können Cooper‑Paare durch quantenmechanisches Tunneln hindurchtreten. Brian Josephson sagte 1962 voraus, dass der Strom durch einen solchen Kontakt nicht von einer Spannung, sondern von der Phasendifferenz \( \Delta \varphi = \varphi_1 − \varphi_2\) zwischen den beiden Supraleitern abhängt. Die Josephson‑Gleichungen lauten:

\[I = I_c \cdot sin(\Delta \varphi)\]

\[d(\Delta \varphi)/dt = 2eV/\hbar\]

Diese Gleichungen verbinden Phase, Strom und Spannung auf eine Weise, die in der klassischen Elektrodynamik unmöglich wäre. Der Josephson‑Kontakt ist damit ein nichtlineares, quantenmechanisches Bauelement, das sich wie ein künstliches Atom verhält - allerdings eines, das aus Milliarden Elektronen besteht.

Die Dynamik der Phase lässt sich in einem effektiven Potential beschreiben, dem sogenannten „washboard potential“ (siehe Bild b unten). Das Potential besitzt eine Reihe von Mulden, die durch Barrieren getrennt sind. Klassisch kann die Phase in einer Mulde oszillieren oder - wenn genügend Energie vorhanden ist — über die Barriere „flüchten“. Quantenmechanisch kann sie jedoch auch durch die Barriere tunneln (siehe Bild c) unten).


3. Antony Leggett und die Idee des makroskopischen Quantentunnelns

In den späten 1970er‑Jahren analysierte Antony Leggett die Dynamik der Phase in Josephson‑Kontakten sehr detailliert, und zeigte, dass die Phase sich wie ein quantenmechanisches Teilchen verhält, das in einem Potentialtopf gefangen ist. Die Masse dieses „Teilchens“ ist proportional zur Kapazität des Kontakts, und die Form des Potentials, also wie stark das „washboard potential“ verkippt ist, wird durch den Bias‑Strom bestimmt. Es ergeben sich Analogien zwischen den elektrischen Größen eines Josephson-Kontakts und den mechanischen Größen eines Teilchens im Potentialtopf.


Leggett sagte voraus, dass die Phase bei tiefen Temperaturen nicht mehr thermisch über die Barriere aktiviert wird, sondern quantenmechanisch tunnelt. Dieses makroskopische Quantentunneln wäre ein direkter Beweis dafür, dass ein makroskopischer Freiheitsgrad quantenmechanisch ist.
Für einen experimentellen Nachweis mussten die Temperaturen jedoch niedrig genug sein, damit thermische Aktivierung ausgeschlossen werden konnte, und gleichzeitig musste man sicherstellen, dass Rauschen in den Zuleitungen nicht fälschlicherweise wie Quantentunneln aussah.

4. Das Berkeley‑Experiment: Der erste Nachweis makroskopischer Quantenphänomene

Anfang der 1980er‑Jahre begannen John Clarke, Michel Devoret und John Martinis an der University of California, Berkeley, Leggetts Vorhersage experimentell zu überprüfen. 
Um Quantentunneln zu beobachten, musste die Temperatur weit unter 1 Kelvin liegen. Gemeinsam mit Kollegen aus Saclay baute das Team einen neuen \(^3He/^4He\) - Mischungskryostaten (siehe Bild a) unten), der Temperaturen im Millikelvin‑Bereich erreichte.
Das zentrale Experiment bestand darin, die Temperatur zu bestimmen, bei der das System vom thermischen Aktivierungsregime in das Quantentunneln übergeht. Bei endlichen Temperaturen \(T>0\) wird die Phase zu thermischen Schwingungen angeregt und entkommt bereits bei einem kleinen Strom \(I_0\) mit einer bestimmten Fluchtrate \(\Gamma\) aus der Potentialmulde. Da es sich beim Tunneln um einen statistischen Prozess handelt, ist es erforderlich den Schaltvorgang vom supraleitenden Zustand mit \(V=0\) in einen Zustand mit \(V>0\) in Abhängigkeit des Stroms \(I_0\) durch die Barriere mehrfach zu wiederholen. Die Forscher maßen die Schaltwahrscheinlichkeit \(P\) als Funktion des Stroms \(I_0\) und der Temperatur. Der aus der Breite von \(P\) errechneten Fluchtrate kann eine 'escape' Temperatur /(T_{esc}\) zugeordnet werden. Bei hohen Temperaturen dominierte die thermische Aktivierung und /(T_{esc}\) unterscheidet sich nicht von der Temperatur um Mischerkryostaten. Bei tiefen Temperaturen wurde die Rate jedoch vom Quantentunneln dominiert, und \(T_{esc}\) ist  weitgehend unabhängig von der Außentemperatur. Das Bild b) unten ist dem Artikel M.H. Devoret, J.M. Martinis und J.Clarke, Phys. Rev. Lett. 55, 1908 (1985) entnommen und zeigt für die schwarz gefüllten Messpunkte das Sättigen von /(T_{esc}\) hinzu kleinen Temperaturen.


Ein großes experimentelle Problem der Messung war das thermische Rauschen in den Zuleitungen. Widerstände erzeugen Stromrauschen, das die Potentialmulde „vibrieren“ lässt. Diese Vibration kann die Breite der Schalt‑Histogramme sättigen - genau wie Quantentunneln. Um dies auszuschließen, entwickelten die Forscher spezielle Mikrowellenfilter, die das Rauschen drastisch reduzierten. Sie sind im Bild a) oben ganz links zu sehen.
Um sicherzugehen, dass die Sättigung nicht durch unvollständige Thermalisierung bzw. Stromrauschen verursacht wurde, reduzierten sie den kritischen Strom \(I_0\) durch ein Magnetfeld von hier 9,489µA auf 1,383µA (offene Messpunkte im Bild b) oben). Dadurch wurde die Barriere kleiner, und das System verhielt sich klassisch(er). In diesem Regime sank die Flucht‑Temperatur deutlich unter den Wert im Quantenregime. Damit war klar: Die Sättigung im ursprünglichen Fall war quantenmechanischen Ursprungs.
In einer Erweiterung des Experiments führten die Preisträger eine Mikrowellen-Spektroskopie durch, die diskrete Energieniveaus in der Potentialmulde sichtbar machte. Das Bild c) unten ist einem Artikel von J.M. Martinis, M. H. Devoret und J. Clarke in Phys. Rev. Lett. 55, 1543 (1985) entnommen.


Die Resonanzen entsprechen Übergängen zwischen quantisierten Zuständen eines makroskopischen Freiheitsgrades und stellen einen direkten experimentellen Beleg für die Quantennatur des Systems dar. Damit wurde erstmals gezeigt, dass ein elektrischer Schaltkreis Zustände einnehmen kann, die formal einem quantenmechanischen Teilchen im Potentialtopf entsprechen.

5. Weiterentwicklung supraleitender Quantenschaltkreise

Die Arbeiten der Preisträger bildeten die Grundlage für die rasante Entwicklung supraleitender Quantenschaltkreise in den folgenden Jahrzehnten. Clarke konzentrierte sich auf die Weiterentwicklung von SQUID-basierten Messinstrumenten, die in der Medizin, Geophysik und Grundlagenforschung breite Anwendung fanden.

Devoret und Martinis erforschten zunehmend Systeme, in denen Ladungsquantisierung und supraleitende Kohärenz kombiniert werden. Dies führte zu einer Reihe neuartiger Bauelemente wie Einzelelektronenboxen, Pumpen und schließlich zu den ersten supraleitenden Qubits.

Zu den wichtigsten Entwicklungen zählen:

Cooper-Paar-Box (1990er‑Jahre): Demonstration quantisierter Ladungszustände.
Quantronium (2002): Erstes Qubit mit ausreichender Kohärenz für kontrollierte Manipulationen.
Phasen- und Fluss-Qubits (2002–2003): Nutzung alternativer Freiheitsgrade wie Phasen- oder Flussüberlagerungen.
Transmon (ab 2007): Reduzierte Empfindlichkeit gegenüber Ladungsrauschen; heute Standardarchitektur.
Fluxonium (2009): Lange Kohärenzzeiten durch große Induktivitäten.
Cat-Qubits (2010er‑Jahre): Nutzung kohärenter Zustandsüberlagerungen in Mikrowellen-Kavitäten.
Parallel dazu entstand die circuit QED, die die Wechselwirkung zwischen supraleitenden Qubits und Resonatoren beschreibt und heute ein zentrales theoretisches Rahmenwerk darstellt.

Mit der Verbesserung der Kohärenzzeiten und Kopplungsmechanismen rückte die Skalierbarkeit in den Fokus. Martinis leitete ab 2014 bei Google die Entwicklung großskaliger Transmon-Prozessoren und prägte den Begriff „Quantum Advantage“. Devoret arbeitete sowohl an industriellen Projekten (Alice & Bob) als auch an theoretischen Konzepten autonomer Fehlerkorrektur, insbesondere für Cat-Qubits.

Die Arbeiten der Preisträger haben nicht nur die technologische Basis für Quantencomputer geschaffen, sondern auch neue Fragen zur Quantentheorie großer Systeme aufgeworfen. Insbesondere bleibt offen, ob sich große Qubit-Register dauerhaft kohärent verschränken lassen oder ob fundamentale Grenzen existieren.

Viel Spaß beim selber weiter recherchieren...

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